resum abstract Adreça Índex Temàtic Deutsch in Spanien an der Schwelle zum 21. Jahrhundert - Forum 11 (2004) PÀGINA PRINCIPAL
 
 
 
  Deutsch auf Mallorca:
ein Missverständnis?

ULRIKE STEINHÄUSL
ulrike.steinhaeusl@uib.es
© Ulrike Steinhäusl 2004
UNIVERSITAT DE LES ILLES BALEARS


 
 
 

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Resum

 


Descriptors:
 
 


 

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Abstract

Über dreissigtausend registrierte deutsche Ansässige auf Mallorca (die Dunkelziffer ist doppelt so hoch), Millionen deutschsprachiger Touristen, eine perfekte deutschsprachige Infrastruktur, aber keine etablierte deutsche Schule und keine deutsche Philologie an der Universität. Das 1987 eingeführte Touristikstudium bildet die einzige Chance an der Universität der Balearen Deutsch zu studieren, zunächst während der drei Studienjahre des Diplomstudiums, dann ab der Einführung des Aufbaustudiums Títol Superior de Turisme im Jahr 1993 weitere vier Semester. Im Studienjahr 1998/1999 wird das Touristikstudium endlich als volles Universitätsstudium anerkannt, gleichzeitig wird jedoch der Studienplan geändert und DaF wie auch die anderen Fremdsprachen aus dem ersten Studienjahr gestrichen, die Stundenzahl im zweiten und dritten Jahr empfindlich reduziert.

Die möglichen Hintergründe und die negativen Folgen, die sich aus dem Widerspruch zwischen der massiven Präsenz deutschsprachiger Touristen und Ansässiger und der derzeitigen Sprachpolitik ableiten, sollen hier untersucht werden.

Schlagwörter:
Deutsch auf Mallorca
Fremdsprachenerwerb im Tourismus
Soziolinguistik
Touristikstudium
 

 

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Deutsch auf Mallorca:
Ein Missverständnis?

ULRIKE STEINHÄUSL MOLNAR
UNIVERSITAT DE LES ILLES BALEARS

 

   
1. EINLEITUNG
 
       
   
Die Wahl des hoffentlich provokativen Titels meines Vortrags "Deutsch auf Mallorca. Ein Missverständnis?“ mag als Thema für einen ernsthaften Germanistenkongress zu plakativ jounrnalistisch scheinen, vielleicht hätte man auch von einem "Missverhältnis“ oder einem "Missstand“ sprechen können. Auf jeden Fall wird es aber notwendig sein vor der Erläuterung der aus meiner Sicht verbesserungswürdigen Umstände der Lehre von deutscher Sprache und Kultur, auf den soziologischen Kontext näher einzugehen. Das heisst, um den Stellenwert von Deutsch auf Mallorca besser zu verstehen, kommt man nicht umhin, zuvor das leidige Thema "Mallorca und die Deutschen“ anzusprechen. Es geht hier natürlich nicht um eine Nationalitätenfrage, gemeint sind alle Deutschsprachigen, also Österreicher und Schweizer mit eingeschlossen, auch wenn diese statistisch gesehen kaum ins Gewicht fallen.
 
       
   
 
 
       
   
2.
MALLORCA
 
         
   
 2.1.
Zahlen, Daten, Fakten
 
         
   
Mallorca nimmt zweifellos eine Sonderstellung nicht nur als beliebtestes Ferienziel der Deutschen, sondern auch als deren bevorzugte Zweitresidenzinsel ein. Von der ursprünglichen "Putzfraueninsel“ ist sie sogar zum "17. deutschen Bundesland“ avanciert. In den deutschsprachigen Kommunikationsmedien ist die Insel seit Jahren Lieblingsthema, egal ob im SPIEGEL etwa mit der Titelseite "Mallorca. Das bessere Deutschland“ (1997 Nr.33), "Wem gehört Mallorca? Spanier gegen die Germanisierung“ (1999 Nr.31), in grossen überregionalen Tageszeitungen oder so seriösen Blättern wie DIE ZEIT. Aber auch ungezählte Fernsehprogramme und Kinofilme sind dem Phänomen "Mallorca und die Deutschen“ gewidmet.
 
       
   
Sehen wir uns zunächst einige Zahlen in Bezug auf Mallorca an und dann die Entwicklung des Tourismus in den letzten Jahrzehnten:
 
       
MALLORCA:          
  Fläche:   3.684 km²
  Küstenlänge:     545 km
  Einwohner:     ca. 620.000
  Registrierte deutsche Einwohner:     ca. 30.000
  Nicht registrierte Deutsche (geschätzt):   ca. 30.000
  Abgefertigte Passagiere am Flughafen Son Sant Joan (1999): 19.233.162
  Davon Ausländer:     14.575.618
  Davon Deutsche:     7.349.900
  Flugbewegungen deutscher Maschinen:   166.969
  Ankünfte deutscher Passagiere am Flughafen:   3.569.400
  Bettenangebot in Beherbungsbetrieben (1998):   268.000
  (=26% des gesamten Bettenangebots von Spanien)    
  Höchstes Bruttosozialprodukt Spaniens    
  (=82% wird vom Dienstleistungssektor erstellt)    
           
Hafen von Palma de Mallorca, erster Anlaufhafen für    
  Kreuzfahrtschiffe in Spanien (1999) 490 Schiffe pro Jahr
       
(Quellen: Ibatur 1998, Govern Balear 1999)    
       
   
Die oben genannten Zahlen lassen ahnen, wieviel Personal (mit Deutschkenntnissen) für mehr als eine Viertel Million Betten benötigt wird. Dazu kommen die vom Tourismus abhängigen Untersektoren wie Reisebüros, Transportwesen, Gastronomie, Handel, Bausektor, Handwerker usw. Es gibt auf Mallorca kaum eine Tätigkeit, die nicht direkt oder indirekt mit dem Tourismus in Zusammenhang stünde.
 
       
   
Zur Veranschaulichung eine Übersicht über die Beschäftigungszahlen im Jahr 1998:
 
       
  Gesamt Landwirtschaft Industrie Bausektor Dienstleistung
1. Halbjahr 98 278.000 6.900 32.200 34.250 204.860
2. Halbjahr 98 290.000 6.740 32.800 35.310 215.360
Quelle: Govern Balear 1999        
         
         
   
 2.2.
Zunahme des deutschen Tourismus seit 1985
 
         
   
Als repräsentative Zahlen für das Ansteigen des deutschen Tourismus dürfen die Zahlen der internationalen Ankünfte am Flughafen von Palma gelten, da höchstens 5% bis 10% des Tourismus die Insel auf dem Seeweg bereist.
 
       
   
Internationale Ankünfte am Flughafen Son Sant Joan ab 1985:
 
       
Quelle: Govern Balear 1999
Jahr Passagiere insgesamt Deutsche Briten Franzosen
1985 3.358.000 1.067.000 1.777.000 249.000
1995 5.464.000 2.426.000 1.658.000 273.000
1998 6.685.000 3.147.000 1.957.000 232.000
1999 7.350.000 3.568.000 2.045.000 254.000
         
         
   
Die Zahl der internationalen Ankünfte hat sich also seit 1985 mehr als verdoppelt und was uns besonders interessiert: die Zahl der ankommenden Deutschen hat sich mehr als verdreifacht. Im Vergleich dazu ist der britische Tourismus nur langsam gestiegen, während der französische Tourismus praktisch gleich geblieben ist. Die restlichen Nationalitäten fallen kaum ins Gewicht und schienen mir für unseren Kontext nicht relevant. Interessant wäre noch zu erwähnen, dass vom Flughafen Düsseldorf das Hauptkontingent der Deutschen nach Mallorca geflogen wird.
 
       
         
   
 2.3.
Deutschsprachige auf Mallorca
 
         
   
Die genannten Zahlen geben ein deutliches Bild von der deutschen Präsenz auf Mallorca. Unterschieden werden muss allerdings zwischen den Ansässigen und den Touristen, und innerhalb der letzten Gruppe wieder zwischen Pauschaltouristen, die meist für 14 Tage Billigangebote wahr nehmen und vor allem in der Hauptsaison die Insel bereisen, den Langzeittouristen (vor allem Rentner), die mehrere Wintermonate hier verbringen, und schliesslich einem neueren Touristentyp, nämlich jener, der öfter für kurze Zeit auf die Insel kommt wie etwa die Golfer (die Insel hat immerhin 12 Golfplätze aufzuweisen).
 
       
   
Und schliesslich gibt es jene Deutsche und andere Deutschsprachige die sich entschliessen, sich auf Mallorca eine Zweitresidenz zuzulegen oder sogar zu Hause alles aufzugeben und für immer auf die Insel zu ziehen. Wir konnten sehen, dass es inzwischen etwa 60.000 sein dürften, immerhin ein Fünftel der Bevölkerung Mallorcas.
 
       
       
   
3.
DEUTSCH AUF MALLORCA
 
         
   
 3.1.
Deutsch als Muttersprache
 
         
   
Es liegt nahe, dass die Masse von Touristen und vor allem die zunehmende Zahl von Ansässigen wiederum viele Deutschsprachige nach Mallorca gelockt haben, die hier eine Marktlücke witterten. Inzwischen werden immerhin drei deutschsprachige Wochenzeitschriften auf Mallorca herausgegeben, deren Anzeigenteil einen Spiegel der Infrastruktur darstellt, die von Deutschen für Deutsche angeboten wird: Ärzte, Hebammen, Anwälte, Handwerker, Metzger, Bäcker, Möbeldesigner, Drogeriemärkte, Gesellschaftsdamen und Masseure, aber – und damit komme ich endlich zum Thema – keine etablierte deutsche Schule! Es hat in den letzten Jahren immer wieder Versuche gegeben, eine deutsche Schule einzurichten, die jedoch alle gescheitert sind. Weshalb das so ist, wäre einer Untersuchung wert, denn englische, amerikanische, französische und sogar schwedische Schulen haben sich sehr wohl behaupten können.
 
       
   
Welche Möglichkeiten haben also deutschsprachige Bewohner Mallorcas, ihre Kinder auf Deutsch unterrichten zu lassen?
 
       
   
Es gibt seit 1997 einen Schulversuch in Magalluf in der Nähe von Palma, einer Zone, die traditionellerweise eher von Briten besucht und bewohnt wird. Im Schuljahr 1999/2000 werden da 40 Schüler von der ersten bis zur sechsten Klasse in zwei Gruppen nach dem deutschen Schulsystem unterrichtet. Ob diese Schule bis zum Abitur weiter geführt werden und sich endgültig etablieren können wird, ist nicht vorherzusehen.
 
       
   
Von den immerhin sieben internationalen Schulen, die auf Mallorca existieren, wird nur in einer einzigen, nämlich der Balearic International School, Deutsch als Muttersprache unterrichtet.Im Schuljahr 1999/2000 waren es an die 50 Schüler, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machten. Neun davon haben Deutsch als Leistungsfach im Abitur gewählt.
 
       
       
   
 3.2.
Deutsch als Fremdsprache
 
         
   
DaF in der Grundschule
 
   
Es gibt einzelne Schulen, die DaF in der Grundschulausbildung anbieten. Hier herrscht eine individuelle Gestaltung vor, die keiner Normierung unterliegt.
 
       
   
DaF in der Sekundarstufe
 
   
Das ansonsten viel kritisierte Schulgesetz Logse hat immerhin auch erfreuliche Begleiterscheinungen: Seit 1997 besteht auf den Balearen die Möglichkeit, DaF in der Sekundarstufe als zweite Fremdsprache als Wahlfach zu Französisch zu lernen (2 Wochenstunden 4 Jahre hindurch). 22 von 54 Schulen auf Mallorca haben sich bereits dazu entschlossen, DaF in ihre Lehrpläne aufzunehmen. Auch in den zwei Jahren des Bachillerato wird Deutsch als Wahlfach mit vier Wochenstunden weiter unterrichtet. In den Pruebas de Selectividad 2000 wird Deutsch auf den Balearen zum ersten Mal als Wahlfach vertreten sein. Lehrer haben bestätigt, dass das Fach Deutsch sehr positiv aufgenommen wird. An einigen Schulen besteht die Möglichkeit mit dem Programm LINGUA einen Monat nach Deutschland zu gehen, umgekehrt kommen deutsche Kinder auf die Balearen, um hier ihr Spanisch zu vertiefen und wahrscheinlich auch ein paar Brocken Katalanisch zu lernen. Sicherlich ein guter Weg, um im Sinne von Cees Nooteboom (vgl. Nooteboom 1993) ein Europäer zu werden.
 
       
   
DaF in Sprachakademien
 
   
Es hat sich als unmöglich erwiesen, Auskünfte über Schülerzahlen von Sprachschulen zu erhalten. Da lauert die Konkurrenz und das Finanzamt. Es gibt eine grosse Anzahl von Akademien auf Mallorca, in einigen wird Deutsch perfekt und ohne Anstrengung in 6 Wochen versprochen, in manchen wird sicherlich guter und ernsthafter Unterricht geboten.
 
       
   
Zu den traditionellen altehrwürdigen Einrichtungen gehört das Estudio General Luliano, wo sich 380 Schüler im Jahr 1999 für Deutsch eingeschrieben hatten.
 
       
   
DaF an der EOI
 
   
Auf Mallorca gibt es zwei Zentren, in denen im Studienjahr 199/200 ca. 770 Schüler Deutsch gelernt haben.
 
       
   
DaF an Hotelfachschulen
 
   
Verlässliche Schülerzahlen konnte ich nur von der Escola d'Hoteleria de les Illes Balears erhalten, die im Campus der Universität untergebracht ist. Hier ist Deutsch mit Englisch Pflichtfach in allen Lehrgängen und wurde von 450 Schülern belegt.
 
       
   
DaF an der Universität
 
   
Um es vorwegzunehmen: Es gibt an der UIB (Universitat de les Illes Balears) keine Möglichkeit Deutsche Philologie zu studieren, ja nicht einmal Deutsch als zweite Fremdsprache in anderen Philologiestudien, auch kein Deutsch im Studiengang für die Lehrerausbildung (Maestro - Especialidad en Lenguas Extranjeras). Auch eine Übersetzer- bzw. Dolmetscherausbildung gibt es an der UIB nicht.
 
       
   
Abgesehen vom Servicio de Idiomas, an dem Deutsch im Grundstufenniveau zur Erlangung von Créditos de Libre Configuración unterrichtet wird, kann man die deutsche Sprache nur im Studiengang Tourismus lernen.
 
       
   
DaF im Studiengang Tourismus (dreijähriges Diplomstudium TUR und zweijähriges Aufbaustudium TST).
 
       
   
Seit der Einführung des für die Fremdsprachen sehr nachteiligen neuen Studienplans ist Deutsch Pflichtfach im zweiten Studienjahr des Diplomstudiums mit drei Wochenstunden und Wahlfach im dritten Studienjahr mit voraussichtlich zwei Wochenstunden während nur eines Semesters.
 
       
   
Im zweijährigen Aufbaustudium, dem sogenannten Título Superior de Turismo wird Deutsch (zunächst noch?) mit vier Wochenstunden ganzjährig unterrichtet.
 
       
DAF AUF MALLORCA        
  (nicht erfasst sind private Sprachschulen und Grundschulen)
im Studiemjahr 1999/2000 eingeschriebene Schüler/Studenten:    
Segundo de Bachillerato   320
Estudio General Luliano   380
EOI (Palma und Inca)   770
Escuela de Turismo de las Islas Baleares 300
  (privat)        
           
Servicio Linguístico (UIB) 100
Escuela Internacional de Hostelería (UIB) 450
Escuela de Turismo (UIB)    
  Diplomstudium Tourismus   750
Escuela de Turismo (UIB)    
  Studiengang Título Superior de Turismo 190
  (Licenciatura - Título propio de la UIB)  
    Gesamt: 3.260.-
   
 
 
       
   
Zu dieser zuverlässigen Zahl von 3260 Deutschschülern kann man, vorsichtig geschätzt, noch etwa 1000 hinzufügen, die in Sprachschulen, in vom Arbeitsamt oder der autonomen Regierung angebotenen Kursen oder privat Deutsch gelernt haben.
 
       
       
   
 3.3.
Die Misere des neuen Studienplans für das Tourismusstudium
 
         
   
Wo bleibt denn da das Missverständnis, werden Sie sich jetzt wahrscheinlich fragen. Auf einer Insel, die vom Tourismus lebt und wo der deutsche Tourismus den Ton angibt, ist eben die Nachfrage nach DaF besonders gross und nicht zu vergleichen mit der Situation in anderen spanischen Regionen. Man braucht hier einfach Deutschkenntnisse um eine Stelle im Fremdenverkehr zu finden oder bessere Chancen auch in anderen Berufssparten zu haben. So weit, so gut.
 
       
   
Wie ist es jedoch zu erklären, dass im Jahr 1998, als das Tourismusstudium nach 11 Jahren institutioneller Unsicherheit endlich als staatliches Universitätsstudium anerkannt wird, der Studienplan so unglücklich geändert wird, dass anstatt der ursprünglichen 4 Wochenstunden Deutschunterricht in drei Studienjahren nur mehr 3 Wochenstunden in zweiten Jahr und 2 Wochenstunden in einem Semster des dritten Studienjahrs übrig bleiben? Das gilt auch für die Fremdsprachen Englisch und Französisch.
 
       
   
In Jahr 2000 läuft der alte Studienplan aus und es ist zu befürchten, dass die Deutschkenntnisse der Tourismusstudenten unter diesen Umständen rapide abfallen werden. Kein Wunder, wenn sich der Zulauf zur EOI und privaten Sprachschulen immer mehr verstärkt, denn wir sind mit diesem rachitischen Studienplan so eingeschränkt, dass in Zukunft im Diplomstudium nur mehr Grundstufenkenntnise knapp abgedeckt werden können.
 
       
   
Der Anspruch an ein gutes Fremdsprachenniveau steht also einer radikalen Reduzierung von Unterrichtsstunden gegenüber. Einerseits sind auf Grund der touristischen Konjunktur deutsche Sprachkenntnisse ein unbedingtes Muss, andererseits aber kürzen die zuständigen Sprachignoranten den Deutschunterricht (und die anderen Sprachen) im Tourismusstudium um mehr als zwei Drittel.
 
       
       
       
   
 3.4.
Deutsch im Tourismus – nur Berufssprache, oder darf es etwas mehr sein?
 
         
       
   
Durch die Kürzung der Unterrichtsstunden wird auch der Druck, Deutsch hauptsächlich als Berufssprache für den Fremdenverkehrsbereich zu vermitteln, um vieles stärker. Geeignete Lehrwerke dafür gibt es zur Zeit unseres Erachtens noch nicht, doch ist eines in Arbeit, das dieser neuen Situation gerecht werden soll. Natürlich ist die Erstellung eines Lehrkonzepts für das Tourismusstudium notwendig, aber das Fehlen von Curricula und die leider der Vergangenheit angehörende grössere Zahl von Unterrichtsstunden brachte doch auch den Vorteil eines kreativen Freiraums im Unterricht.
 
       
   
Sollte ein Touristiker nicht auch Allgemeinbildung haben? Ist es denn zu befürworten, dass Touristiker nur betriebswirtschaftlich ausgebildet werden. Wäre es nicht besser, Sprachlehrer hätten ein bisschen mehr Spielraum, um nicht alleine das Tourismusvokabular in sich immer wiederholenden Kontexten einzupauken (also in etwa: Reisebüro, Hotel, Autovermietung, Reiseleiter, Flughafen, Touristeninformation u.a.). Wir alle, die Deutsch im Tourismus auf Universitätsebene unterrichten, haben und hatten natürlich das Problem, dass keine geeigneten Lehrwerke für Deutsch vorhanden waren, auch keine vorgegebenen Curricula. Wir haben uns auf völligem Neuland unsicher vorwärts getastet, hatten aber dafür mehr Spielraum für Kreativität und Spontaneität. Jetzt ist es soweit, dass wir bald Bücher und Module haben werden. Ich gehöre zu denen, die daran mitarbeiten. Doch im Grunde bedauere ich es ein wenig, wenn wir vom deutschen Sprachunterricht aus auch noch unseren Beitrag dazu leisten, dass der Student zunächst nur in Situationen im Tourismus reagieren lernen wird.
 
       
   
Moderne Wissenschaftler, die sich seit Jahren mit dem Fremdenverkehrswesen beschäftigen, sprechen inzwischen davon, dass sich eine zu enge betriebswirtschaftliche Ausrichtung negativ auf das Studium auswirkt, da sie keine ausreichende Qualifikation für den Umgang mit neuen Arbeitssituationen mit sich bringt. Eine breitere humanistischer Ausrichtung des Studiums wünscht sich auch Jörg Mundt seinem Buch „Einführung in den Tourismus“. Er gibt zu bedenken, dass der Tourismus ein extrem labiler Wirtschaftszweig sei und durchaus in absehbarer Zeit zum Krisensektor werden könne. Zum Tourismusstudium sollten auch Auseinandersetzungen mit der Soziologie, Psychologie, Ethnologie und Politikwissenschaften gehören (vgl. Mundt 1998:X - XIII). Die Studienpläne für das Diplomstudium werden diesen Ansprüchen sicherlich nicht gerecht.
 
       
   
Es ist natürlich illusorisch auch mit einem fortgeschritteneren Anfängerkurs über soziologische und psychologische Themen auf Deutsch zu diskutieren. Waren wir bis jetzt in der Lage, im dritten Studienjahr und besonders im darauffolgenden Aufbaustudium polemische Themen wie "Nachhaltiger Tourismus“, „Tourismus, die Pest unseres Jahrhunderts?“ , „Tourismus und Knappheit der Ressourcen“, u.a. anzuschneiden, und die Studenten auch einmal über Celians „Todesfuge“ und deren erschreckende Aktualität nachdenken zu lassen (die Kollegen ahnen, welches Lehrwerk ich verwendet habe), so haben wir jetzt guten Grund zu befürchten, dass die Sprachkompetenz für solch anspruchsvolle Themen nicht mehr ausreichen wird.
 
       
       
       
   
 3.5.
Fremdsprachenphilologien wozu?
 
         
   
Was nun das Studium der Philologien betrifft, so kann man an der Universität der Balearen bis zum heutigen Tage eine Llicenciatura en Filologia Catalana und eine Licenciatura en Filología Hispánica erwerben. Englisch, Französisch und Portugiesisch werden als Zweitsprachen angeboten. Deutsch wird hingegen nur im Tourismusstudium unterrichtet. Es stellt sich die Frage, wo die Lehrer, die immerhin schätzungsweise 4000 Deutschschüler unterrichten ihre Ausbildung genossen haben. Oder ist eine Ausbildung für Sprachlehrer, sieht man von staatlichen Institutionen ab, wo der akademische Titel Voraussetzung ist, etwa nicht notwendig?
 
       
   
Zweifellos besteht jedoch ein Widerspruch zwischen den Interessen der Studenten und dem Studienangebot. Viele, die den Studiengang Tourismus gewählt haben, gaben zu, sie hätten diese Wahl nur getroffen, weil es die einzige Möglichkeit gewesen sei, an der Universität Fremdsprachen zu lernen; manche hätten gerne Deutsche Philologie studiert und interessieren sich sogar für deutschsprachige Literatur; einige würden gerne ein Übersetzer- oder Dolmetscherstudium anschliessen.
 
       
       
       
   
 3.6.
Reaktion auf die deutsche Omnipräsenz
 
         
   
Nicht gegen den Touristen ist der in einigen Kreisen spürbare Widerstand gerichtet, denn der kommt, lässt sein Geld und verlässt die Insel wieder. Es sind die Deutschsprachigen, die sich hier niederlassen, die die Sorge einer Germanisierung hervorrufen. Verständlich ist es, dass man von ihnen erwartet, dass sie Spanisch und/oder Katalanisch zur besseren Verständigung lernen.
 
       
   
Man ist bereit, Deutsch als Instrument im Tourismus- und Geschäftsbereich einzusetzen, darüber hinaus scheint die deutsche Sprache und Kultur bei den lokalen Bildungspolitikern wenig Interesse hervorzurufen.. Die wirtschaftlich Relevanz der Sprache rückt die humanistischen und literarischen Aspekte völlig in den Hintergrund. Es ist, als sei Deutsch mit einer Hypothek der Kommerzialisierung und Banalisierung belastet.
 
       
       
       
   
4.
MISSVERSTÄNDNISSE
 
         
   
Ein Missverständnis ist es meiner Meinung nach, wenn in dem neuen Studienplan für Tourismus die Stundenanzahl für den Sprachunterricht empfindlich reduziert wird, gleichzeitig aber im Berufsleben die Fremdsprachen, und auf Mallorca im besonderen das Deutsche, eine unbedingte Voraussetzung darstellen.
 
       
   
Vielleicht beruht es auch auf einem Missverständnis, wenn das Studium des Fremdenverkehrswesens rein vom wirtschaftlichen Standpunkt aus betrachtet und die interdisziplinäre Auseinandersetzung mit der Soziologie, Psychologie, Ethnologie und den Kulturwissenschaften weitgehend vernachlässigt wird.
 
       
   
Wir haben gesehen, dass Deutsch auf Mallorca Tausenden von Personen vermittelt wird, es jedoch keine Deutsche Philologie an der Universität der Balearen gibt. Ein Missverständnis wird wohl dahinterstecken, wenn die Notwendigkeit der Einführung von Fremdsprachenphilologien nicht eingesehen wird. Vielleicht beruht dies wiederum auf dem Missverständnis, dass Fremdsprachenerwerb und das Studium der Philologie ein und dasselbe seien.
 
       
   
Möglicherweise werden wir darauf warten müssen, dass der deutschsprachige Tourismus sich von Mallorca wieder zurückzieht (die ersten Anzeichen dafür gibt es bereits) und die Angst vor einer Überfremdung auf Grund der massiven Immigration sich etwas legt, damit erkannt wird, dass die Beschäftigung mit deutscher Sprache, Literatur und Kultur über touristische Zwecke hinaus nicht bedeutet, die eigene Identität in Gefahr zu bringen.
 
       

Bibliografía:

Govern Balear, 1999. El turisme a les Illes Balears. 1999. (=Govern Balear 1999).


Ibatur, 1998. . Mallorca: Zahlen, Daten, Fakten. 1998. (=Ibatur 1998).


Mundt, Jörn M., 1998. Einführung in den Tourismus. München/Wien: R. Oldenbourg Verlag, 1998. (=Mundt 1998).


Nooteboom, Cees, 1993. Wie wird man Europäer?. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, 1993. (=Nooteboom 1993).



 


ULRIKE STEINHÄUSL MOLNAR
Universitat de les Illes Balears
Dept. de Filologia Espanyola, Moderna i Llatina • Àrea de Filologia Alemanya
Despatx ID 22 • Carretera de Valldemossa, km 7.5
07071 Palma de Mallorca
Telèfon: 0034 971 17 20 81 i 17 26 35 • Fax: 0034 971 17 26 17
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