Authentische Hörtexte in der Grundstufe?!
ERICH HUBER
UNIVERSIDAD DEL PAÍS VASCO - EUSKAL HERRIKO UNIBERTSITATEA
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Definition der Termini im Titel des Beitrags |
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An der Universidad del País Vasco wird Deutsch als Wahlpflichtfach bzw. Wahlfach (zweite bzw. dritte Fremdsprache) angeboten, und zwar im Ausmaß von insgesamt 4 Semestern à 60 Unterrichtseinheiten, das ergibt also insgesamt, wenn die StudentInnen alle vier Semester belegen, 240 UE à 45 Minuten. Im Rahmen des im Oktober 1999 an der UPV eingerichteten vierjährigen Germanistik-Studiums wird den StudentInnen während des gesamten Studiums Sprachunterricht im Ausmaß von 60 UE pro Semester erteilt, also insgesamt 8 x 60 UE = 480 UE. Im 1. Semester können sie zusätzlich noch die Wahlpflicht-Lehrveranstaltung Prácticas de comprensión y expresión - ebenfalls 60 UE bzw. 6 créditos - belegen, die den Sprachkurs begleitet und für StudentInnen ohne bzw. mit geringenVorkenntnissen konzipiert ist, um die eklatanten Niveauunterschiede vor allem im ersten Studienabschnitt etwas zu kompensieren. Dazu kommen natürlich noch andere Lehrveranstaltungen, die auf Deutsch abgehalten werden bzw. Aspekte der deutschen Grammatik und Linguistik zum Inhalt haben und somit auch ihren Beitrag zur Erhöhung der Sprachkompetenz leisten (sollen). |
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Wenn hier von Grundstufe die Rede ist, haben wir also in erster Linie nicht etwa das Zertifikat Deutsch des Goethe-Instituts und die darauf vorbereitenden Deutsch-Lehrwerke im Sinn, sondern orientieren uns einerseits an den unseren StudentInnen an der UPV zur Verfügung stehenden Lehrveranstaltungen mit dem entsprechenden Stundenausmaß und andererseits an dem Nutzen, den sie aus dem Besuch derselben ziehen können. Unsere Grundstufe wäre somit nach maximal vier Semestern Sprachunterricht erreicht und sollte daher auch dazu befähigen, die bis dahin erworbenen Kenntnisse autonom anwenden zu können. Wir gehen davon aus, dass dieses Ziel unmöglich zu erreichen ist, wenn man alle vier Fertigkeitsbereiche gleichzeitig und gleichwertig trainiert und konzentrieren uns daher auf die rezeptiven Fertigkeiten. Im ersten Jahr bilden Lesetexte die Basis der Unterrichtsmaterialien, im dritten Semester steht das Hörverstehen im Mittelpunkt, und erst im - für Nicht-Germanisten optativen - vierten Semester werden auch die produktiven Fertigkeiten Schreiben und Sprechen gezielt trainiert. Neben erwerbstheoretischen Erkenntnissen waren pragmatische Erwägungen für die Einführung dieser Fertigkeits-Progression ausschlaggebend. Nach zwei bis drei Semestern Sprachkurs besuchen die Philologie-StudentInnen in der Regel Vorlesungen zur deutschen Literatur, in denen sie Texte auch im Original lesen, StudentInnen anderer Studienrichtungen interessieren sich vielleicht für deutschsprachige Fachartikel zu ihrem Forschungsgebiet... Und neben der Bibliothek bieten im Zeitalter von Internet und digitalem Fernsehen ja auch diese Medien reichlich Zugang zur deutschsprachigen Welt. Die Lernenden sollen also auf jene Kommunikationskanäle vorbereitet werden, die ihnen zur Verfügung stehen und aus denen sie einen entsprechenden Nutzen ziehen können, ohne in ein deutschsprachiges Land reisen zu müssen bzw. sich einen deutschsprachigen Gesprächspartner suchen zu müssen. Dazu kommt noch, dass diese Progression auch die Schwierigkeit des Erwerbs der verschiedenen Fertigkeiten berücksichtigt: Lesen ist für unsere Zielgruppe leichter als Hören, Hörverstehen leichter als Schreiben, Schreiben wiederum leichter als Sprechen. |
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Als Hörtexte sollen hier sprachlich realisierte Texte bezeichnet werden, die im Muttersprachenkontext produziert werden, um gehört/verstanden (hörverstanden) zu werden. Das können Texte sein, die völlig spontan (ohne schriftliche Fixierung) entstanden sind (wie spontane Dialoge), Texte, die einer vorgegebenen inhaltlichen Steuerung unterliegen (wie Interviews und Vorträge) oder auch Texte, die vorher zur Gänze schriftlich fixiert wurden (wie Lieder, Filme, Radio- und Fernsehsendungen, Durchsagen, Märchen) und rezitiert oder vorgelesen werden. Dabei handelt es sich aber nicht immer um gesprochene Sprache. Soll neben dem reinen Hörverstehen auch das Register der gesprochenen Sprache erworben werden, soll also die Hörverstehensübung auch auf die Fertigkeit Sprechen vorbereiten, so sind wohl vorgelesene oder gesungene Texte kaum geeignet. |
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Jedenfalls verdienen Texte, die in DaF-Lehrwerken als Hörtexte deklariert werden, für uns diese Bezeichnung nicht, wenn sie sich ausschließlich im Rahmen des DaF-Unterrichts als solche manifestieren, z.B. konstruierte Dialoge, die im Aufnahmestudio auf Band gelesen wurden. Das Problem dieser Pseudo-Hörtexte liegt dabei nicht so sehr im Fehlen von situierenden Nebengeräuschen, sondern in der fehlerhaften Sprache selbst (vgl. Buttaroni 1995). |
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Ich übernehme die Definition von Buttaroni (1995:34): „Authentisch sind in diesem Kontext ausschließlich jene Texte, die von MuttersprachlerInnen der L2 für MuttersprachlerInnen der L2 konzipiert wurden“. Demnach gelten also auch jene Rollenspiel-Aufnahmen, die extra für den Fremdsprachenunterricht gemacht werden (z.B. Jax/Knapp 1992), nicht als authentisch.
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Diese Definition, verbunden mit der Forderung, im DaF-Unterricht ausschließlich authentische Texte einzusetzen, ist sehr streng und steht in klarem Widerspruch zur vorherrschenden und wohl gutgemeinten Praxis, die Lernenden zumindest im Anfängerniveau nicht mit zu komplexen Texten zu überfordern. Allerdings ist die Vergegenwärtigung und Anwendung dieser strengen Definition auch eine Garantie dafür, dass die Lernenden tatsächlich mit der authentischen Sprache konfrontiert und damit wiederum auf den Umgang mit authentischen Texten außerhalb des Unterrichtsraums vorbereitet werden. Natürlich könnte man dagegen einwenden, dass auch nicht-muttersprachliches Deutsch authentisches Deutsch ist (z.B. das sogenannte Gastarbeiter-Deutsch oder die Interimssprache der Lernenden selber), weil es in authentischen Situationen - was immer das sei - gebraucht wird und den kommunikativen Anforderungen entspricht. Weiters könnte man anführen, dass muttersprachliche Erwachsene, wenn sie mit Kleinkindern sprechen, ihre Sprache unbewusst in ähnlicher Weise adaptieren wie dies LehrbuchautorInnen und Lehrkräfte bewusst tun (sollten) (Apeltauer 1997:32ff).
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Dem möchte ich entgegenhalten, dass erstens die Lernenden natürlich in ihrer Interimssprache kommunizieren, wenn (freies) Sprechen geübt wird und dies auch nicht verhindert werden soll, auch wenn sie dabei diese interimssprachlichen und damit vereinfachten und fehlerhaften Äußerungen ihrer Gesprächspartner auch hörverstehen. Allerdings sollte es ja gerade die Aufgabe der Lehrkräfte sein, die Lernenden mit jenem authentischen Input zu versorgen, über den diese im Gegensatz zu den ihre Muttersprache erwerbenden Kleinkindern außerhalb des Unterrichts nicht verfügen.
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1.4. |
Fragezeichen und Rufzeichen |
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Das Fragezeichen steht für die Frage: Ist es möglich/sinnvoll, authentische Hörtexte bereits im Anfängerunterricht einzusetzen? Das Rufzeichen steht für die bejahende Antwort auf diese rhetorische Frage: Ja, es ist möglich und sinnvoll!
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2. |
Wozu authentische Hörtexte in der Grundstufe? |
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Nachdem wir festgelegt haben, was wir unter authentischen Hörtexten verstehen, nämlich von Muttersprachlern für Muttersprachler produzierte und zum Hören bestimmte Texte, die im Idealfall auch noch spontan entstanden sind und somit Charakteristika der gesprochenen Sprache aufweisen, wollen wir nun untersuchen, welche Vor- und Nachteile die Verwendung authentischer gegenüber jener konstruierter, also ausschließlich für DaF-Lehrwerke bestimmter Texte hat.
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2.1. |
Vorteile authentischer Hörtexte |
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Welche Lernziele verfolgen wir eigentlich mit Hörverstehensübungen? Die Lernenden sollen auf reale Situationen in einem deutschsprachigen Land vorbereitet werden, indem sie Hörverstehensstrategien entwickeln, ihr Gehör für die deutsche Sprache schulen und das gesprochene Deutsch verstehen lernen.
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Manchmal gewinnt man allerdings den Eindruck, dass Hörtexte im Unterricht eher nur die Funktion von Sprech- und Schreibanlässen erfüllen sollen. Wenn Dahlhaus (1994:52) behauptet, dass „Aufgaben vor dem Hören eines Textes den Verstehensprozess am intensivsten beeinflussen und steuern können, daß Aufgaben während des Hörens diese Funktion nur noch zum Teil übernehmen können und Aufgaben nach dem Hören überhaupt nicht“, und wenn sie an späterer Stelle (S. 127) noch feststellt, dass „das Hörverstehen eigentlich nie isoliert geübt wird, sondern mit anderen Fertigkeiten eng verknüpft ist“, scheint dies darauf hinzudeuten, dass sie dem eigentlichen intensiven Hören relativ wenig Bedeutung beimisst, sondern dass es ihr eher darum geht, mittels Vorentlastungs- und Vorbereitungsübungen oder sogar inhaltlichen Vorwegnahmen das Verständnis des Hörtextes zu garantieren, um im Anschluss daran wiederum auf andere Fertigkeiten überzugehen. Um Hörverstehen zu trainieren, muss aber gehört werden, so wie man lesen nur lernt, indem man liest.
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Wenn nun das wichtigste Lernziel von Hörverstehensübungen die Vorbereitung auf reale Situationen in einem deutschsprachigen Land und auf reale muttersprachliche Äußerungen ist, stellt sich eigentlich nicht die Frage nach der Sinnhaftigkeit authentischer Hörtexte, sondern eher die, wozu denn konstruierte Texte gut sein sollen.
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Wir wissen, dass konstruierte Texte nur eine schlechte Imitation des tatsächlich gesprochenen Deutsch sind. Wäre die authentische Sprache so gut nachgeahmt, dass man keine Unterschiede feststellen könnte, könnte man ja gleich auf konstruierte Texte verzichten. Wenn es sich aber um eine Imitation handelt, also um eine für den Unterricht entworfene Interimssprache, so besteht die Gefahr, dass gerade linguistische Aspekte ausgeklammert werden, die für das Register der gesprochenen Sprache wesentlich sind (Abtönungspartikeln, Kontraktionen, Nachfeldbesetzung etc.), wodurch die Lernenden nicht nur eine künstlich vereinfachte Sprache erwerben, sondern auch eine falsche, in der Realität nicht existierende Sprache. Es entstehen sogenannte induzierte Fehler.
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Authentische Texte sind aber meist auch interessanter und motivierender, gerade weil die Lernenden wissen, dass sie authentisch sind. Jeder ist schließlich ein bisschen Voyeur und möchte gerne wissen, was sich in der Realität - sozusagen hinter der Kulisse des Unterrichts - abspielt. Und die Arbeit mit authentischen Texten motiviert die Lernenden zum autonomen Weiterlernen außerhalb des Klassenraums, wenn sie dabei auch lernen, mit Verstehensdefiziten umzugehen, Verstehensstrategien zu entwickeln, Hilfsmittel wie Wörterbuch und Grammatik zu gebrauchen und ihrem Gehör zu vertrauen.
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2.2. |
Die Schwierigkeit des Verstehens von Hörtexten |
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Das Hauptargument gegen authentische Hörtexte im Anfängerunterricht lautet, sie seien zu schwer. Schwerer zu verstehen sind sie tatsächlich, weil sie lexikalisch und grammatikalisch komplexer sind als konstruierte Texte, weil sie sich auf lexikalischer Ebene nicht auf einen Grundwortschatz beschränken, weil sich auch ihre grammatikalische Form nicht an eine vorgegebene Progression hält, weil sie inhaltlich nicht einzelne Sprechakte enthalten, die eben in der Realität nicht isoliert auftreten, weil sie schnell gesprochen und voller Auslassungen, Unterbrechungen, Einschüben etc. sind, weil sie weiters oft eine dialektale und/oder soziolektale Färbung aufweisen und schließlich, weil ihre Tonqualität, vor allem wenn es sich um Aufnahmen spontaner Dialoge handelt, mangelhaft ist. Typische Lehrwerk-Hörtexte basieren dagegen auf einer lexikalischen und grammatikalischen Progression, konzentrieren sich auf eine einzige Sprechintention mit den entsprechenden Redemitteln und werden im Aufnahmestudio von bühnendeutsch sprechenden Profis langsam, deutlich und ohne Versprecher auf Band gelesen.
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Authentische Hörtexte enthalten aber auch Charakteristika, die das Verstehen erleichtern. Sie sind erstens in der Regel inhaltlich redundant. Eine bestimmte Information kommt wiederholt vor, wodurch der Hörer mehrere Chancen bekommt, diese zu registrieren. Zweitens sind Textsorte und die Beziehung zwischen den Sprechern aufgrund der Sprechweise leichter erkennbar, die Stimme verrät Emotionen. Sprechgeschwindigkeit, Intonation und selbst die Lautstärke variieren stärker, womit Wichtiges von weniger Wichtigem unterschieden werden kann. Nachdenkpausen verschaffen Zuhörpausen. Was die Sprache selbst betrifft, so ist diese zwar anders als die schriftlicher Texte, aber nicht komplexer als diese. Auf stilistischer, syntaktischer und auch auf lexikalischer Ebene ist die gesprochene Sprache einfacher aufgebaut: die Sätze sind kürzer und der Wortschatz weniger umfangreich.
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Gern werden in Lehrwerken geschriebenene Texte auf Kassette gelesen und so zu Übungszwecken in Hörtexte verwandelt. Dass diese Vorgehensweise das Verstehen ungeheuer erschweren kann, möchte ich an einem Beispiel demonstrieren. Die Einheit 16 des Lehrwerks Betriebswirtschaft (Jung 1993) enthält einen vermeintlichen Vortrag eines Bankdirektors über das Betriebsergebnis im abgelaufenen Jahr. Zur Überprüfung des Hörverstehens sollen nach einmaligem Anhören Kontrollfragen beantwortet werden. Aus dem Quellenverzeichnis wird jedoch ersichtbar, dass es sich in Wirklichkeit um einen schriftlichen Werbetext eben dieser Bank handelt, der nur für das Lehrwerk zu einem Vortrag umgeschrieben worden war. Was dabei verändert wurde, lässt sich leider nicht nachvollziehen, weil das schriftliche Original fehlt, jedenfalls hört man auf Anhieb, und zwar nicht nur als Muttersprachler, dass der Text auf Band gelesen wurde. Was man dagegen nicht auf Anhieb feststellen kann, ist die vermeintliche Textsorte Vortrag, auch nicht als Muttersprachler. Tatsächlich war die erste Reaktion eines Muttersprachlers, dem ich den Text ohne Vorwarnung vorspielte, auch: „Was ist denn das?“ Um den Text im DaF-Unterricht verstehbar zu machen, müsste man ihn daher dermaßen vorentlasten, dass letztlich nur noch selektives Zahlen-Hören betrieben würde. Gerade diese Zahlen würden aber wohl bei einem authentischen mündlichen Bilanzbericht an eine Leinwand projiziert oder lägen den Adressaten zur Einsicht vor und würden vom Vortragenden lediglich kommentiert. Den Lernenden wird diese visuelle Hilfe dagegen vorenthalten. Authentische Hörtexte sind also nicht generell schwieriger als konstruierte.
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Zum Vergleich spielte ich StudentInnen, die nie Deutsch gelernt hatten, einen authentischen Vortrag des Kommunikationswissenschafters Paul Watzlawick vor. Ohne ein Wort verstanden zu haben, konnten sie die Textsorte schon nach wenigen Sekunden bestimmen.
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2.3. |
Entlastung ohne Vorentlastung |
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Um den Schwierigkeiten authentischer Hörtexte zu begegnen, ohne das Hauptaugenmerk vom tatsächlichen Hörverstehen auf vorentlastende Übungen zu anderen Fertigkeitsbereichen zu legen, können drei Arten von Progression eingeführt werden. Erstens kann man die Texte nach ihrer für eine konkrete Zielgruppe inhaltlichen Schwierigkeit ordnen, zweitens kann man Hörtextsorten, die auch im authentischen Kontext visuell unterstützt werden, vorziehen und drittens können die Aufgabenstellungen progressiv anspruchsvoller werden.
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Kurze Texte haben den Vorteil, dass sie weniger Zeit intensiver Konzentration erfordern, allerdings auch den Nachteil, dass sie weniger redundant sind, womit globales Verstehen in der Praxis zum Wort-für-Wort-Verstehen ausarten kann. Für den Anfängerunterricht empfiehlt sich als Richtwert eine Länge von 1 - 2 Minuten, um beide Gefahren zu begrenzen.
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Spielfilm- und andere Videosequenzen eignen sich besonders, weil sie außersprachliche und parasprachliche Informationen mitliefern, die ja auch in realen Situationen zur Verfügung stehen, bergen aber auch die Gefahr in sich, die Konzentration weniger auf die Sprache als auf das Bild zu lenken.
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Der regionalen Färbung wird m.E. zuviel Bedeutung beigemessen. Oft erkennen diese Abweichungen vom „Hochdeutschen“, z.B. wenn das initiale s stimmlos ausgesprochen wird, ohnehin nur Muttersprachler und sehr fortgeschrittene Lernende und beeinflussen daher das Verstehen kaum. Dennoch kann man den Lernenden am Anfang eine übertriebene Variantenvielfalt ersparen, nicht nur über die Text- bzw Sprecherauswahl, sondern auch, indem man sie ganz einfach nicht auf diese Varianten hinweist und sie sie überhören lässt.
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Eine einfache Möglichkeit, das Hörverstehen zu erleichtern, ist, für eine gute Tonqualität zu sorgen. Selbst Studioaufnahmen werden unverständlich, wenn sie auf alten Kassettenrekordern abgespielt werden und die Akustik im Raum schlecht ist.
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Und schließlich sollte noch die Möglichkeit des wiederholten Hörens angeführt werden. Dadurch wird kompensiert, dass in realen Situationen die Möglichkeit des Nachfragens besteht und auch genützt wird, und sich der Sprecher nicht nur den Deutschkenntnissen des Gesprächspartners anpasst, sondern sich auch vergewissert, dass er ihn versteht. Außerdem hört sich auch ein Muttersprachler manche Texte (Textsorten) mehrmals an (Lieder, Filme), vor allem Kinder, die ein und dieselbe Geschichte immer wieder hören wollen, obwohl sie sie schon so gut wie auswendig können. Es gibt auch StudentInnen, die sich Vorlesungen aufnehmen, um sie bei Bedarf erneut zu hören.
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3. |
Hörverstehens-Übungstypen und Aufgabenprogression |
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Anstelle der traditionellen grammatikalischen Progression und der dem kommunikativen Ansatz folgenden Progression nach Themen und Sprechakten bzw. Sprechintentionen mit einer zyklischen Anordnung von einfacheren zu komplexeren Ausdrucksformen oder von häufiger auftretenden Formen zu selteneren, die eine Manipulation des Sprachmaterials quasi erzwingen, schlagen wir eine Progression nach Fertigkeitsbereichen und innerhalb dieser nach Übungstypen vor. Das heißt im Falle der UPV konkret, dass die StudentInnen sich während des ersten Studienjahres (120 Unterrichtseinheiten) auf die Entwicklung der Fertigkeit Lesen konzentrieren, im dritten Semester der Schwerpunkt auf dem Hörverstehen liegt und erst danach auch die produktiven Fertigkeiten in Angriff genommen werden. Innerhalb jedes Fertigkeitsbereichs beginnen sie mit den leichter zu bewältigenden inhaltsorientierten Aufgabenstellungen, um erst im Laufe der Zeit auf die anspruchsvolleren formorientierten Übungstypen überzugehen. Beim Hören verläuft der Prozess vom völlig entspannten Hören ohne jeden Verstehenszwang über das globale inhaltliche Verstehen bis zum formorientierten Verstehen. Am Anfang wird mit der Transkription des Hörtextes wie mit einem Lesetext gearbeitet, später müssen anhand der Transkription analytische Aufgaben bewältigt werden, und zuletzt fertigen die StudentInnen selbst die Transkription an.
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Die in der Folge beschriebenen Übungstypen authentisches Hören (italienisch: Ascolto rilassato oder autentico), analytisches Hören (it. Ascolto attivo oder analitico) und Lingua Puzzle (it. Puzzle linguistico) wurden von der römischen Sprachschule DILIT entwickelt (Catizone u.a. 1997) und von den Vertretern des Fremdsprachenwachstum genannten Ansatzes (Buttaroni/Knapp 1988 und Buttaroni 1997) übernommen und im deutschen Sprachraum bekannt gemacht. Von uns stammt die Unterscheidung zwischen phonologischem und grammatikalischem Hören und der Übungstyp der Hörsensibilisierung, den wir im Rahmen eines Forschungsprojektes eingeführt haben¹.
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3.1. |
Hör- bzw. Gehörsensibilisierung |
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Diesen Übungstyp setzen wir während der ersten 120 UE ein, in denen der Schwerpunkt auf dem Leseverstehen liegt. Die Sensibilisierung für den Klang der deutschen Sprache soll es der inneren Lesestimme der Lernenden ermöglichen, sich an die eines Muttersprachlers anzugleichen, um die Texte besser lesen zu können. So sind bestimmte Konsonantenkombinationen wie z.B. sch unlesbar, wenn man nicht weiß, welchem Laut sie entsprechen. Generell erhalten die Lernenden vor oder nach dem Hören eine Transkription des Textes. Es besteht also keinerlei Hörverstehenszwang, denn sie wissen, dass sie den Text früher oder später lesen werden. Anhand der Transkription kommen aber doch auch Charakteristika des gesprochenen Deutsch zur Sprache.
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Die Aufgabe besteht darin, sich zu entspannen (Entspannungsübung, verdunkelter Raum etc.) und sich den Text anzuhören, als säßen sie in einem Konzertsaal und hörten eine Art Musik, wie sie sie noch nie zuvor gehört haben.
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Handelt es sich um eine Videoszene, so wird ihnen diese zuerst ohne Ton vorgespielt. Darauf erstellen sie in ihrer Muttersprache zu zweit einen Dialog, um die Szene zu synchronisieren, und vergleichen ihre Vorschläge mit denen anderer Zweier-Gruppen. Im Anschluss sehen sie den Ausschnitt mehrmals mit Originalton und überprüfen anhand der Transkription, ob ihre Version mit dem Original inhaltlich übereinstimmt.
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Damit soll erreicht werden, dass die Neuguerde der Lernenden so weit geweckt wird (Wie klingt die deutsche Sprache? Wie spricht man das aus?), dass sie möglichst intensiv zuhören, ohne sich aufgrund eines Verstehenszwanges zu verkrampfen.
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3.2. |
Autentisches = inhaltsorientiertes Hören |
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Nach den ersten 120 UE, an der UPV also im dritten Semester, werden die Lernenden erstmals mit Hörtexten konfrontiert, von denen ihnen keine Transkription zur Verfügung steht. Die Aufgabe besteht darin, den Text inhaltlich zu verstehen. Allerdings werden keine Kontrollfragen gestellt, weder vor noch nach dem Hören., und der Text wird auch nicht vorentlastet. Selbst die Entscheidung für einen bestimmten Hörstil (intensiv oder extensiv, global oder selektiv) bleibt den Lernenden überlassen, soweit er nicht ohnehin von der Textsorte eindeutig vorgegeben ist.
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Nach zweimaligem Anhören des Textes, auch diesmal wieder in einer möglichst entspannten Atmosphäre, besprechen die Lernenden in Zweier-Gruppen, was sie bisher verstanden haben. Sie sollten dabei möglichst mutig sein und auch Hypothesen aufstellen, die im Laufe der Übung eventuell revidiert werden müssen. Nach einem erneuten Hörvorgang, Partnerwechsel und erneutem Informationsaustausch bekommen sie die Aufgabe, sich während des anschließenden dritten Hördurchgangs circa fünf unbekannte Wörter - bzw. Lautgruppen, von denen sie vermuten, dass es sich um Wörter handeln könnte - zu notieren. Während des nächsten Hörens werden diese Wörter im Text identifiziert, indem der Kassettenrekorder an den entsprechenden Stellen gestoppt wird, und im Plenum geklärt. Diese Phase kann wiederholt werden, wenn man als Lehrkraft das Gefühl hat, dass die Lernenden noch genug an Interesse aufbringen, sollte aber nicht überstrapaziert werden. Nach dieser Vokabelphase findet noch ein letztes abschließendes Hören statt.
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Die Wörter, die während des Identifikationshörens aus dem Text gefiltert werden, sind in der Regel Schlüsselwörter, die strukturell im rhematischen Teil des Satz-Mittelfeldes angesiedelt sind. Der Vorteil von Hörtexten gegenüber Lesetexten ist eben, dass man die Schlüsselwörter aufgrund der Intonation identifizieren kann, auch wenn man vom Text nur wenig versteht. Dadurch entwickelt sich automatisch im Laufe der Zeit eine Verstehensstrategie, die auch autonom angewandt werden kann und von Muttersprachlern natürlich ständig angewandt wird, nämlich die, sich auf Inhaltswörter zu konzentrieren und Funktionswörter außer acht zu lassen. |
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3.3. |
Analytisches (phonologisches) Hören |
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Der Übungstyp des analytischen Hörens schließt an das authentische Hören an. Der Inhalt des Textes ist also schon bekannt. Um zu vermeiden, dass ersteres nur als Vorbereitung auf eine analytische Aufgabe fehlinterpretiert wird, sollte aber nicht jeder gehörte Text auch mit einer analytischen Aufgabenstellung verbunden werden. Gegenstand der induktiven Untersuchung sind neben der Aussprache auch prosodische Elemente und die Übereinstimmung von bzw. die Unterschiede zwischen der Aussprache und der Verschriftung (anhand der Transkription). Dabei wird nicht nur das Hörverstehen gezielt geschult, sondern auch die Fertigkeit Sprechen insofern trainiert, als: „Nur was korrekt gehört wird, kann auch korrekt artikuliert werden“ (Apeltauer 1997:39).
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Die Aufgaben reichen hier von der Markierung des Intonationsverlaufs über das Unterstreichen der Satzakzente, die Identifikation kurzer und langer Vokale bis zur Realisierung eines bestimmten Lautes in verschiedener Umgebung. Wie beim authentischen Hören soll die Aufgabe auch hier in Partnerarbeit und mit mehrmaligem Partnerwechsel bewältigt werden. Abschließend werden die Ergebnisse im Plenum gesammelt und diskutiert. Je nach Aufgabenstellung und inhaltlichem Verständnisgrad bekommen die Lernenden die Transkription oder nicht. In beiden Fällen wird der Text aber nicht explizit nochmals als Lesetext behandelt, denn der Sinn der Aufgabe ist ja jetzt nicht das globale inhaltliche Verstehen, sondern die Untersuchung eines einzelnen formalen Aspekts. |
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3.4. |
Analytisches (grammatikalisches) Hören |
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Im Gegensatz zum phonologischen Hören geht es nun um die Untersuchung formaler Aspekte aus den Bereichen Morphologie, Syntax, Pragmatik und Textlinguistik. Wiederum gilt es, ein bestimmtes grammatikalisches Phänomen im Text zu identifizieren und zu analysieren, und zwar in erster Linie Phänomene der gesprochenen Sprache, die in schriftlichen Texten nicht aufscheinen oder schriftlich anders gebraucht werden. Man denke etwa an das Verb in der ersten Person Singular, an die Ellipse, an die Verwendung des Nachfelds, an den Gebrauch des Perfekts anstelle des Präteritums, an Reaktionssignale des Gesprächspartners in der Zuhörerrolle...
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Die Lernenden sollten aber nicht durch Suche X-Aufgaben überfordert werden, die genauso gut anhand der geschriebenen Sprache gestellt werden können. Die Erfahrung im eigenen Unterricht hat gezeigt, dass etwa die Aufgabenstellungen, wie sie Buttaroni/Knapp (1988) allgemein vorschlagen und nach denen Jax/Knapp (1992) Hörtexte didaktisiert haben, oft derart anspruchsvoll sind, dass sie selbst von GermanistikstudentInnen kaum zu lösen sind, wenn sie die Sprache nicht schon beherrschen. Zum Beispiel: „Notiert alle Verben, die ein Präpositionalobjekt nach sich ziehen“ oder „Notiert alle Adjektive, die einen Satz als Ergänzung nach sich ziehen“ oder „Notiert alle Passagen, in denen Ereignisse zeitlich fixiert werden“ (Buttaroni/Knapp 1988:29ff). Hier wäre es jedenfalls sinnvoll, mit der Transkription oder vielleicht besser gleich mit einem Lesetext zu arbeiten. |
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Bei diesem Übungstyp werden die Lernenden aufgefordert, einen kurzen Ausschnitt eines bereits bekannten Hörtextes Wort für Wort zu transkribieren. Da das Band während der Szene nicht angehalten wird, weisen zumindest die anfänglichen Notizen zahlreiche Lücken auf; daher der Name Lingua-Puzzle. Nach wiederholtem Hören der Passage werden die Ergebnisse in Partnerarbeit und/oder Kleingruppen verglichen und ergänzt, die nun entstandenen Transkriptionen beim erneuten mehrmaligen Anhören des Textes überprüft, bis sich jede Kleingruppe auf eine Version einigt. Nun diktiert eine Gruppe ihre Version der Lehrkraft, die sie gemeinsam mit Alternativvorschlägen der anderen Gruppen an der Tafel festhält. Schließlich wird versucht, noch verbliebene Lücken zu schließen und bei Auftreten verschiedener Lösungsvorschläge den adäquatesten zu bestimmen. Und zuletzt gibt die Lehrkraft die richtige, weil mit dem Original übereinstimmende Lösung bekannt. |
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3.6. |
Autonomie und Integration des Hörverstehens |
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Mit Ausnahme der Hörsensibilisierung, bei der der Text gelesen wird, handelt es sich um autonome Hörverstehensübungen, bei denen andere Fertigkeitsbereiche nicht explizit mitwirken. Auch beim Lingua-Puzzle ist Schreiben nur ein Mittel zum Zweck des intensiven und rekonstruierenden Hörens. Natürlich stimmt es, dass „man in realen Kommunikationssituationen fast immer in interpersonellen Kontakt tritt“ (Dahlhaus 1994:52), man also gleichzeitig die Hörerrolle und die Sprecherrolle einzunehmen hat. Aber erstens ist das nicht immer der Fall, denn manchmal hören wir auch in realen Kommunikationssituationen einfach nur zu - z.B. wenn wir Radio hören -, und zweitens bieten ja die Übungen zur Fertigkeit Sprechen auch im Unterricht genügend Gelegenheit, diese Doppelrolle einzunehmen. |
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Der wesentliche Punkt ist aber, dass Hörverstehen eine eigene Fertigkeit ist, die im Fremdsprachenunterricht nicht zu kurz kommen darf und die weder mit einem reinen Aussprachetraining verwechselt noch mit übertriebenen Vorentlastungsübungen überflüssig gemacht werden darf. |
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Bibliografía
Apeltauer,, Ernst, 1997. Grundlagen des Erst- und Fremdsprachenerwerbs. Berlin/München/ Wien/ Zürich/New York: Langenscheidt (Fernstudieneinheit 15). (=Apeltauer 1997).
Buttaroni, Susanna, und Alfred Knapp, 1988. Fremdsprachenwachstum. Wien: Verband Wiener Volksbildung. (=Buttaroni/Knapp 1988).
Buttaroni, Susanna, 1995. “Sprache beibringen, Sprache fernhalten”. In: Authentizität im Sprachunterricht. (ÖDaF-Mitteilungen, Heft 2/1995), 34-40. (=Buttaroni 1995)
Buttaroni, Susanna, 1997. Fremdsprachenwachstum. Sprachpsychologischer Hintergrund und didaktische Anleitungen. München: Hueber. (=Buttaroni 1997).
Catizone, Piero, und Christopher Humphris, und Luigi Micarelli, 1997. Volare. Corso di Italiano. Roma: DILIT. (=Catizone/Humphris/Micarelli 1997).
Dahlhaus, Barbara, 1994. Fertigkeit Hören. Berlin/München/Wien/Zürich/New York: Langenscheidt (Fernstudieneinheit 5). (=Dahlhaus 1994).
Huber, Erich, 2000. “Fremdsprachenwachstum im Baskenland”. In: Informationsblatt der Österreichkooperation, 18/2000, 22-23. (=Huber 2000).
Jax, Veronika, und Alfred Knapp, 1992. Erzähl, wie war's? - Authentische Hörtexte aus Österreich. Wien: Wiener Internationale Hochschulkurse.(=Jax/Knapp 1992).
Jung, Lothar, 1993. Betriebswirtschaft. Lese- und Arbeitsbuch. München: Hueber (Fachsprache Deutsch).(=Jung 1993).
Saalbach, Mario, 2000. “DaF auf den Kopf gestellt”. In: Info DaF 1999/4, 327-347. (=Saalbach 2000).
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Notas:
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Dieses Forschungsprojekt mit dem Titel La reestructuración del aprendizaje y de la enseñanza del Alemán como lengua extranjera a partir de la comprensión lectora wurde von Dezember 1996 bis November 1999 von Erich Huber, Waltraud Kirste und Mario Saalbach betrieben und von der Universität des Baskenlandes unter den Projektnummern UPV 103.130-HA 099/96, UPV 103.130-HA 155-97 und UPV 103.130-HA 001/98 finanziell gefördert. Im dritten Projektjahr entwickelten wir Materialien zum Hörverstehen, die den Kriterien dieses Beitrags gerecht werden sollten. Siehe dazu auch Saalbach (1999) und Huber (2000). |
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PROF. DR. ERICH HUBER
Universidad del País Vasco • Euskal Herriko Unibertsitatea
Facultad de Filología y Geografía e Historia • Filologia eta Geografi-Historia Fakultatea
Departamento de Filología Inglesa y Alemana, y de Traducción e Interpretación
Sección de Alemán • Despacho 1.12
Paseo de la Universidad 5 • Unibertsitateko Ibilbidea 5
E-01006 Vitoria / Gasteiz
Telèfon: 0034 945 01 39 69 • Fax: 0034 945 01 32 00
erich.huber@ehu.es
http://www.vc.ehu.es/depfi/
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סְפָרַד
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