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 Was Grammatiker alles .... nicht wissen!

ANDREU CASTELL VICENTE
acv@fll.urv.es
© Andreu Castell Vicente 2003
Universitat Rovira i Virgili


 
 
 

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Resumen

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Abstract

Grammatiken, insbesondere Gebrauchsgrammatiken, sollten hauptsächlich Auskunft darüber geben, wie eine Sprache funktioniert. In diesem Zusammenhang sollten sie nicht nur dazu da sein, allgemeine Grundzüge zu erörtern, sondern sie sollten sich auch auf eindeutige Weise mit Zwiefelsfällen beschäftigen, die nicht nur fortgeschrittenen Lernern der jeweiligen Sprache, sondern selbst native-speakern Probleme bereiten. In diesem Beitrag soll gezeigt werden, wie wenig nbützlich manchmal Grammatiken sein können undwie oft sich ihre Autoren ihrer Aufgabe, Antworten auf gezielte Fragen anzubieten, entziehen

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Was Grammatiker alles .... nicht wissen!

ANDREU CASTELL VICENTE
Universitat Rovira i Virgili

 
Grammatiker beschäftigen sich mit Grammatik. Grammatiker schreiben unter anderem Grammatiken. Grammatiker kritisieren andere Grammatiker, vor allem wenn jene auch Grammatiken geschrieben haben. Grammatiker wissen viel von Grammatik oder zumindest vermitteln sie den Eindruck, viel zu wissen. Wissen Sie auch, was sie nicht wissen? Eine doppeldeutige Frage. Einerseits fragt sie danach, ob sie auch das wissen, was sie nicht sagen, andererseits auch danach, ob sie sich überhaupt dessen bewusst sind, was sie eigentlich nicht wissen und somit auch nicht erklären können. Eine nicht einfache Frage, die sich im Grunde jeder Grammatiker selbst stellen sollte, um dann auch konsequent vorzugehen.
 
     
 
Grammatiker verstehen es nämlich sehr gut, Erklärungen so zu formulieren, dass sie den Eindruck erwecken, es werde tatsächlich etwas erklärt, wobei oft eigentlich sehr wenig erklärt wird. Liest ein Laie diese Erklärungen, dann kann es geschehen, dass er sich durchaus damit zufrieden gibt, vor allem wenn er nur über eine einzige Grammatik verfügt. Und er weiß ja gewöhnlich auch weniger als der Grammatiker, denn deshalb schaut er ja auch in der Grammatik nach. Es kann aber auch geschehen, dass sich die Erklärung selbst für den Laien, vor allem, wenn er verschiedene Grammatiken zur Hand hat, beim näheren Zuschauen als ein authentischer Bluff entpuppt.
 
     
 
Nehmen wir an, ein relativ fortgeschrittener Lerner des Deutschen findet beim Lesen eines Textes folgenden Satz:
 
     
 
Es gibt in dem Buch viele Stellen, wo starke Zweifel auftreten über die Aufrichtigkeit des Autors.
 
     
 
Gelernt hatte er bisher, in einem Nebensatz stehe das konjugierte Verb am Ende. Und plötzlich entdeckt er einen Satz, wo das nicht der Fall ist, wo nämlich die Präpositionalergänzung über die Aufrichtigkeit des Autors nach dem konjugierten Verb steht. Ob der Autor des Textes sich vertan hat?
 
     
 
Nehmen wir weiterhin an, dass der Lerner mit einer Grammatik umgehen kann und dass er schnell in dieser Grammatik nach Information sucht. Da er im Lehr- und Übungsbuch der deutschen Grammatik von Dreyer/Schmitt (1985, S. 21 u. 1996, S. 19) nichts dazu findet, nimmt er sich die Grammatik von Helbig/Buscha (1993) vor, die ihm sein Lehrer empfohlen hat.
 
     
 
Dort, so stellt er fest, ist die Rede von grammatikalisierter und von stilistisch bedingter Ausrahmung (S. 568f). Hinsichtlich der zweiten -um die es ja hier nach Helbig/Buscha geht- wird gesagt, dazu seien vor allem präpositionale Gruppen fähig. Sie erfolge erstens, wenn die zwischen finitem Verb und Prädikatsteil stehenden Satzglieder sehr umfangreich oder sehr zahlreich seien und die Gefahr bestehe, dass das Prädikat nicht als Ganzes erfasst werde. Und zweitens, wenn ein vom Sprecher besonders betontes Satzglied hinter den Prädikatsteil gestellt werde. Es folgen jeweils lediglich ein Beispiel, von denen das zweite völlig kontextlos angeboten wird:
 
     
 
Ihr einziger Sohn ist gefallen in dem Krieg.
 
     
 
Unser Lerner sieht sich noch mal den Satz an, der ihn zum Nachschlagen geführt hatte, und stellt fest, dass es sich tatsächlich um eine präpositionale Gruppe handelt. Ist sie sehr umfangreich und wird sie deshalb vom Autor ausgerahmt? Wer weiß, denn was bedeutet eigentlich umfangreich? Steht sie deshalb im Nachfeld, weil der Autor sie besonders hervorheben will? Eigentlich sieht es nicht so aus. Über das Wochenende hat unser fiktiver Lerner einen Aufsatz zu schreiben. Soll er es versuchen? Soll er es wagen? Warum nicht, er hat es ja schließlich schwarz auf weiß, in dem Zeitungsartikel und selbst in seiner Grammatik. Am Sonntag fängt er seinen Aufsatz mit folgenden Worten an:
 
     
 
Gestern bin ich mit meinen Eltern gegangen in das chinesische Restaurant eines Freundes.
 
     
 
Der Satz muss richtig sein. Es ist eine präpositionale Gruppe und sie ist sogar umfangreicher als die, die der deutsche Autor im Zeitungsartikel ausgerahmt hat. Probeweise realisiert er im ganzen Aufsatz insgesamt 10 Ausrahmungen präpositionaler Gruppen. Der Lehrer wird staunen. Ende der nächsten Woche bekommt er seinen Aufsatz zurück und -siehe da-, alle Ausrahmungen sind rot angestrichen, und es folgt ein Vermerk des Lehrers, er solle nicht das Prinzip der Endstellung des Verbs vergessen. Ob der Lehrer eine andere Grammatik besitzt?
 
     
 
Unser fiktiver Lerner leiht sich von einem Freund die Duden-Grammatik (1995) aus und schlägt dort nach. Auch da ist von stilistischer Begründung, vom Umfang der Satzglieder und von Präpositionalgefügen allgemein die Rede (S. 790f.). Nach der Duden-Grammatik können diese aber nicht nur zur besonderen Hervorhebung nachgestellt werden, sondern auch dann, wenn man sie als unwichtig nachtragen will. Jetzt versteht er noch weniger, warum seine Sätze falsch sein sollen. Er nimmt sich vor, am nächsten Unterrichtstag den Lehrer zu fragen:
 
     
 
Der Lehrer seinerseits korrigiert in diesem Augenblick Übungen einer Anfängergruppe. Er will gerade folgenden Satz verbessern:
 
     
 
Das ist nicht ein Nashorn, sondern ein Nilpferd.
 
     
 
Er will das nicht durchstreichen und das ein durch kein ersetzen, so dass es dann heißt::
 
     
 
Das ist kein Nashorn, sondern ein Nilpferd.
 
     
 
Plötzlich überfallen ihn Zweifel. Sollte das vielleicht doch nicht falsch sein? Er hat das zwar nicht so erklärt, aber eigentlich klingt es gar nicht so schlecht. Auch er schaut zunächst in die Grammatik von Helbig/Buscha (1993, S. 390ff.). Ganze zweieinhalb Seiten widmet die Grammatik dem Thema und aus keiner der angeführten Regeln lässt sich ableiten, dass der Satz seines Schülers richtig sein könnte. Deutlich und klar wird gesagt, als Negation stehe immer kein, wenn in dem nicht verneinten Satz der unbestimmte Artikel stehe. Es folgt zwar die Anmerkung, wenn ein Satz mit ein durch nicht verneint werde, liege eine Verstärkung der Negation vor -dies dürfte vielleicht für den Satz des Schülers gelten-, hinzugefügt wird aber, die Form ein sei dann nicht als unbestimmter Artikel, sondern als Zahladjektiv aufzufassen. Als Beispiel wird angeführt:.
 
     
 
Er kann eine Ausnahme machen.
Er kann nicht eine Ausnahme machen.
 
     
 
Also ist der Satz seines Schülers doch nicht richtig. Unsicher sucht der Lehrer in weiteren Grammatiken. Dazu hat er sie ja. Bei Götze/Hess Lüttich (1993, S. 280f.), wo das Thema auf rund zwei Seiten erläutert wird, steht ebenfalls, dass bei der Negation auch nicht anstatt kein möglich sei, wenn ein als Zahladjektiv interpretiert werde. Und es wird noch hinzugefügt, in Fällen der Austauschbarkeit von nicht und kein bei sein bzw. werden gelte, dass bei kein in aller Regel Satzteilnegation vorliege, bei nicht hingegen der ganze Satz negiert werde, dass es also heißen müsse:
 
     
 
Er ist kein Beamter, sondern Angestellter.
 
     
 
aber:
 
     
 
Er ist nicht Beamter.
 
     
 
Eine Erläuterung, die eigentlich gegen die Richtigkeit des polemischen Satzes des Schülers spricht, wo es ja gerade um eine Sondernegation geht. Die Erläuterung bezieht sich aber bei Götze/Hess Lüttich, wie gesagt, nur auf Strukturen mit sein bzw. werden und einer, wie sie es nennen, Einordnungsergänzung mit Nullartikel. Andererseits steht diese Behauptung praktisch im Widerspruch zu den entsprechenden Erläuterungen bei Helbig/Buscha (1993, S. 391), wo diesbezüglich lediglich festgehalten wird, dass nicht und kein bei solchen Strukturen allgemein austauschbar seien.
 
     
 
Also sucht unser Lehrer weiter und schlägt die schon etwas ältere Neue deutsche Grammatik von Griesbach (1986, S. 180f.) auf. Dort heißt es zuallererst, im allgemeinen gelte, ein Prädikatsobjekt werde mit kein- + Kasuszeichen verneint, wenn es sonst ohne Artikel oder mit dem unbestimmten Artikel gebraucht werde. Zwar wird auch hier weiter unten darauf hingewiesen, in einigen Fällen schwanke der Gebrauch von nicht und kein, wobei es allerdings auf die Äußerungsabsicht ankomme. Was es mit dieser Äußerungsabsicht auf sich hat, wird leider nicht erläutert und keines der Beispiele klärt darüber auf.
 
     
 
Schließlich nimmt unser Lehrer die letzte Auflage der Duden-Grammatik (1995, S. 694ff.) zur Hand. Und dort findet er es schwarz auf weiß: "Ebenfalls ersetzbar durch nicht ein -heißt es da- ist kein dann, wenn es speziell den Gliedkern negiert." Was genau darunter zu verstehen ist, schließt unser Lehrer aus dem alleinstehenden Beispiel, das folgt, das eigentlich ganz und gar dem entspricht, was sein Schüler geschrieben hat:
 
     
 
Ich habe kein/nicht ein Auto, sondern einen Sportwagen..
 
     
 
Und weiter unten, wo es um die Negation bei Nomen im Plural und ohne Artikel geht, heißt es auch wieder, wie im Vorangehenden sei hier zwischen einem kein, das eine unbestimmte Mengenangabe ohne Artikel negiere, und einem kein, das den Gliedkern negiere, zu unterscheiden. Im ersten Fall sei nicht unmöglich, im zweiten hingegen stehe es in einem Austauschverhältnis mit kein. Und es folgt das Beispiel:
 
     
 
Sie hat nicht Brüder, nur Schwestern.
 
     
 
Unser Lehrer möchte sich vergewissern, dass dies nichts Neues sei, und holt sich die beiden vorangehenden Auflagen der Duden-Grammatik aus dem Regal. In der unmittelbar vorangehenden aus dem Jahre 1984 (S. 643f.) steht genau das gleiche, Wort für Wort. Und in der aus dem Jahre 1973 findet er zwar nichts Konkretes zu dem Thema "nicht oder kein", was er eigentlich recht merkwürdig findet, nach fleißigem Suchen findet er aber folgenden Beispielssatz (S. 599):
 
     
 
Er hat nicht Äpfel gekauft, sondern [er hat] Birnen [gekauft].
 
     
 
Wenn es im Duden schon mindestens seit 1973 so heißen kann und anscheinend auch darf -leider hat er keine ältere Auflage- warum steht es dann nicht auch in den anderen Grammatiken? Mit einem unguten Gefühl lässt er den Satz des Schülers so stehen, wie er ist, und nimmt sich vor, Kollegen zu fragen und sich einige Artikel zur Negation zu besorgen.
 
     
 
Am Tag darauf meldet sich bei ihm der Schüler, der bezüglich der Endstellung des Verbs allem Anschein nach die typische Lernregression erfahren hat. Aber siehe da, der Schüler kommt mit konkreten Zitaten aus Grammatiken angewandert. Der Lehrer, der sich eigentlich nie Gedanken über die sogenannte Ausklammerung bzw. Ausrahmung gemacht hatte, weiß zu Anfang nicht ganz, wie er reagieren soll. Mit dem Argument, die Zeit sei um, nimmt er sich die Frage des Schülers mit nach Hause.
 
     
 
Dort stöbert er stundenlang in seinen Grammatiken herum. Nachdem er selbst ebenfalls bei Helbig/Buscha und in der Duden-Grammatik nachgeschlagen hat, um sicher zu gehen, dass sein Schüler die dortigen Erklärungen auch richtig verstanden hat, konsultiert er die Neue deutsche Grammatik von Griesbach (1986, S. 60) sowie die Grammatik von Götze/Hess-Lüttich (1993, S. 406f.). Viel Information ist da eigentlich nicht. Bei Griesbach heißt es, wenn Satzglieder das Nachfeld besetzten, handle es sich dabei im Allgemeinen um Nachträge, die in lebhafter mündlicher Rede vorkämen, oder im schriftlichen Ausdruck, um das Satzfeld nicht zu sehr mit Inhalten zu überfrachten. Dafür folgt ein einziges Beispiel:
 
     
 
Meine Eltern haben ein Haus gekauft mit einem schönen Garten dahinter.
 
     
 
Dass das ausgeklammerte Element ein Präpositionalgefüge ist, in diesem Fall in der Rolle einer Angabe zum Nomen, könnte reiner Zufall sein. Denn im Gegensatz zu Helbig/Buscha und den Autoren der Duden-Grammatik spricht Griesbach nirgends von einer besonderen Fähigkeit solcher Gefüge zur Nachfeldbesetzung. Auch bei Götze/Hess-Lüttich, wo ebenfalls von stilistischen Gründen, von Gründen der Akzentuierung und vom Umfang der Satzglieder die Rede ist, steht nichts davon, obwohl das erste Ausklammerungsbeispiel, das angeführt wird, auch wieder ein Präpositionalgefüge ist, in diesem Falle in der Funktion einer Temporalangabe zum Verb:
 
     
 
Ich will sie nicht mehr sehen in diesem Jahr.
 
     
 
Schließlich schaut unser Lehrer auch noch in die Textgrammatik von Weinrich (1993) hinein. Für gewöhnlich zieht er dieses Buch für ganz konkrete Fragen nicht heran, da das Phänomen aber doch stark pragmatisch bedingt zu sein scheint, wäre es doch möglich, dass Weinrich hierzu gebührend Auskunft gibt. Abgesehen davon, dass auch hier wieder die Rede vom Umfang der Satzglieder allgemein ist, behauptet Weinrich unter anderen könnten Präpositional-Adjunkte ins Nachfeld gestellt werden, zumal wenn sie eine gewisse Länge hätten und sich auf das Prädikats-Adjektiv einer Kopulaklammer bezögen (S. 84). Als Beispiele werden angeführt:
 
     
 
Wir waren diesmal nicht sehr zufrieden mit dem Verlauf unserer Urlaubsreise.
Wir sind jetzt nicht mehr so versessen auf stundenlange Autoreisen.
 
     
 
Zum ersten Mal wird hier eine gewisse Einschränkung vorgenommen. Nach Weinrich sind also hauptsächlich Präpositionalergänzungen zum Adjektiv nachfeldfähig:
 
     
 
Unser Lehrer schaut sich noch einmal alle anderen Beispielsätze an, die er beim Nachschlagen fleißig aufgeschrieben hat, und stellt verblüfft folgendes fest: Weinrichs Einschränkung scheint für die anderen Autoren nicht gültig zu sein, denn jene führen Beispiele an, wo die Ausklammerung Präpositionalgefüge in recht verschiedenartigen syntaktischen Rollen betrifft:
 
     
 
Temporale Situativangaben zum Verb:
 
     
 
Ihr einziger Sohn ist gefallen in dem Krieg. (Helbig/Buscha (1993), S. 569)
Ich möchte nicht verreisen in diesem Sommer. (Duden (1995), S. 791)
Ich will sie nicht mehr sehen in diesem Jahr (Götze/Hess-Lüttich (1993), S. 406).
 
     
 
Lokale Situativangaben zum Verb und zum Nomen:
 
     
 
..., ihr Einfluss dauert jedoch fort in der Gefühlsstruktur des Publikums, ... (Duden (1995), S. 790)
Morgen soll ich meinen Dienst antreten in diesem Hause. (Duden (1995), S. 791)
Sie haben den Mut bewundert in den Versen unserer Dichter. (Duden (1995), S 791).
 
     
 
Komitative Angaben zum Nomen:
 
     
 
Meine Eltern haben ein Haus gekauft mit einem schönen Garten dahinter. (Griesbach (1986), S. 60).
 
     
 
Präpositivergänzungen zum Verb:
 
     
 
Er wird sich rächen für seinen eigenen Verrat. (Duden (1995), S. 791).
 
     
 
Eines ist unserem Lehrer klar. Er wird seinem Schüler sagen, dass er die Möglichkeit der Ausklammerung präpositional realisierter Elemente lieber vergessen soll, da es etwas stilistisch Bedingtes und im Grunde also nie obligatorisch ist. Für ihn selbst bleiben aber Fragen offen, auf die er durch das Nachschlagen in sechs verschiedenen Grammatiken keine Antwort gefunden hat. Unter anderem fragt sich unser Lehrer vor allem, ob Präpositionalgefüge in allen syntaktischen Funktionen ausgeklammert werden können oder ob es da doch gewisse Einschränkungen gibt.
 
     
 
Als er am Abend desselben Tages von einem Kollegen seine Deutsche Grammatik von Engel (1988) zurückbekommt, die er ihm ausgeliehen hatte, entschließt er sich, auch dort noch reinzuschauen. Und siehe da, auch Engel würde seinem Schüler das gleiche raten. Er schreibt nämlich:
 
     
 
Die begrenzte Nachfeldfähigkeit vieler Angaben und Attribute ist ein Feld mit vielen Sumpflöchern und Fußangeln. Allen, deren deutschsprachige Kompetenz noch nicht voll ausgebildet ist, muss daher abgeraten werden, solche Folgen zu realisieren: Die Fehlerwahrscheinlichkeit ist zu hoch. (S. 318).
 
     
 
Und nicht nur das. Da stehen auch schwarz auf weiß Behauptungen wie die folgende:
 
     
 
Von den nicht-satzartigen Ergänzungen ist nur die Präpositivergänzung nachfeldfähig, und auch diese nur in der Mehrzahl der Fälle [...] Es gibt für die Präpositivergänzung Einschränkungen, die noch nicht ausreichend erforscht sind. (S. 316).
 
     
 
Eine nicht unwichtige Information. Ihre Formulierung gibt nicht nur eindeutig zu erkennen, dass selbst Präpositivergänzungen nicht immer nachfeldfähig sind, sondern sie schließt auch automatisch die Nachfeldfähigkeit anderer präpositional realisierter Ergänzungen wie Direktiv- und Situativergänzungen aus. Danach wäre also der erste Satz seines Schülers (Gestern bin ich mit meinen Eltern gegangen in das chinesische Restaurant eines Freundes) falsch, da die Ausklammerung eine Direktivergänzung betrifft:
 
     
 
Und auch bezüglich der präpositional realisierten Ergänzungen zum Nomen gibt Engel zu bedenken, dass manche durchaus nachfeldfähig seien, dass die Nachfeldstellung anderer hingegen nur gelegentlich zu korrekten Sätzen führe (S. 317).
 
     
 
Natürlich kann man aus den Erläuterungen Engels nicht lernen, wann man eigentlich eine Ausklammerung eines präpositional realisierten Elementes vornehmen kann und wann nicht, aber das bezweckt der Autor ja auch nicht, denn er gibt ja schließlich zu, dass man sich in der Forschung darüber noch nicht im Klaren sei. "Warum fehlt diese letzte Information in den anderen Grammatiken?", fragt sich unser Lehrer erstaunt und zugleich entrüstet. Empfinden es ihre Autoren vielleicht als wenig elegant, Ungewissheit einzuräumen?
 
     
 
In Gedanken darüber versunken, hört unser Lehrer das Telefon klingeln. Ein Kollege ist am Apparat. Er möchte gerne wissen, wie es richtig heißt: Auf der Polizei sagte man mir, dass er im Krankenhaus liegt" oder "..., dass er im Krankenhaus lag"? Er hat in all seinen Grammatikhandbüchern nachgeschlagen, und wird aus Informationen, die er dazu gefunden hat, nicht schlau. Erschöpft und ohne ein Wort zu sagen, legt unser Lehrer den Hörer auf. Er wird sich morgen dafür entschuldigen müssen, aber heute kann er einfach nicht mehr.
 
     
 
Ich habe hier lediglich zwei Beispiele sozusagen inszeniert, um deutlich zu machen, wie man beim Nachschlagen in Grammatiken nicht selten Frustration empfinden kann; wie man des Öfteren den enttäuschenden Eindruck gewinnt, dass sich ihre Autoren -und ich selbst möchte mich da nicht voll und ganz ausschließen- clever aus der Sache herausziehen.
 
     
 
Man kann von Grammatikern nicht verlangen, dass sie alles wissen, noch weniger, dass sie alles erklären. Dass sie nicht alles wissen können, wissen wir ja. Vielleicht ist sich nicht jeder Lerner dessen bewusst, das sollte aber doch zumindest jeder Lehrer verstehen. Und dass sie auch nicht alles erklären können, wissen wir ja auch. Es ist ja schon aus rein verlegerischen Interessen sehr selten möglich, eine dreibändige Grammatik zu schreiben wie die von Zifonum/Hoffmann/Strecker u.a. (1997). Davon abgesehen, wäre ja ein solches Werk als Gebrauchsgrammatik kaum zu gebrauchen sein. Aber fragen wir uns doch, wie Grammatiker beim Schreiben ihrer Handbücher vorgehen. Sie schreiben ja auch nicht aus dem Nichts, denn es gibt schon andere Grammatiken.
 
     
 
Kennen Helbig und Buscha, Griesbach, Götze und Hess Lüttich nicht den Duden? Halten Sie die Beispiele der Duden-Grammatik "Ich habe nicht ein Auto, sondern einen Sportwagen" und "Er hat nicht Äpfel gekauft, sondern Birnen" tatsächlich für falsch? Und wenn dem so sein sollte, warum sagen sie es nicht? Gerade eine Gebrauchsgrammatik, die ja zum Nachschlagen da sein soll, ist doch der geeignete Platz dafür, bezüglich konkreter Fälle auch zu sagen, was nach Ansicht des Autors nicht sein darf.
 
     
 
Und ist es wirklich so tragisch, explizit zuzugeben, dass nicht alles erklärbar ist? Natürlich könnte man bezüglich der Ausklammerung einwenden, Engels Warnung sei darauf zurückzuführen, dass er sich ja selbst seit den 70er Jahren eingehend mit Wortstellung beschäftigt hat und somit praktisch durch seine eigenen Untersuchungen zu der Einsicht gelangt ist, dass in diesem Zusammenhang noch vieles im Unklaren ist. Aber kennen denn die anderen Autoren diese Untersuchungen oder die vielen anderen, die sich exklusiv mit der Ausklammerung beschäftigt haben, nicht? Ich bezweifle es stark, denn will man als Grammatikschreiber ein Thema erklären, wo man sich keineswegs sicher ist, dann holt man doch die existierenden Untersuchungen dazu heran. Engels Grammatik heißt einfach "Deutsche Grammatik", ohne jeglichen Untertitel. Wäre eine Warnung wie die, die Engel darin bezüglich der Ausklammerung äußert, nicht auf jeden Fall in einer Grammatik mit dem Untertitel "Ein Handbuch für den Ausländerunterricht" zu erwarten?
 
     
 
Es ist nicht einfach, eine Grammatik zu schreiben, und die Versuchung, Schwierigem auszuweichen, ist immer da. Man sollte aber immer bedenken, wozu man eigentlich eine Grammatik schreibt. Natürlich gibt es immer Fälle, wo man sich fragt, was der Autor mit seiner Grammatik eigentlich bezweckt, aber im Prinzip müsste man doch davon ausgehen, dass es der Zweck einer Gebrauchsgrammatik ist, nicht nur die ganz allgemeinen Grundzüge der zu beschreibenden Sprache zu charakterisieren, sondern auch auf so einfache und deutliche Art und Weise wie möglich Zweifelsfälle zu erörtern und diese, wenn nötig, auch als solche zu beschreiben.
 
     

Bibliografische Angaben:

 
DREYER, H., und R. SCHMITT, Lehr- und Übungsbuch der deutschen Grammatik. Ismaning: Verlag für Deutsch, 1985 (=Dreyer/Schmitt 1985).
 
 
DREYER, H., u. R. SCHMITT, Lehr- und Übungsbuch der deutschen Grammatik. Neubearbeitung. Ismaning: Verlag für Deutsch, 1996 (=Dreyer/Schmitt 1996).
 
 
DUDEN, Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 3., neu bearb. u. erw. Aufl. Mannheim etc.: Bibliographisches Institut, 1973 (=Duden 1973).
 
 
DUDEN, Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. Mannheim etc.: Bibliographisches Institut, 1984 (=Duden 1984)..
 
 
DUDEN, Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 5., völlig neu bearb. Aufl. Mannheim etc.: Dudenverlag, 1995 (=Duden 1995).
 
 
ENGEL, U.,Deutsche Grammatik. Heidelberg: Groos, 1988 (=Engel 1988).
 
 
GÖTZE, L., u. E.W.B. Hess-Lüttich, Grammatik der deutschen Sprache. Gütersloh: Bertelsmann, 1993 (=Götze/Hess-Lüttich 1993).
 
 
GRIESBACH, H., Neue deutsche Grammatik. Berlin/München (u.a.): Langenscheidt, 1986 (=Griesbach 1986).
 
 
HELBIG, G., u. J. BUSCHA, Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 15. durchgesehene Aufl. Leipzig etc.: Langenscheidt/Verlag Enzyklopädie, 1993 (=Helbig/Buscha 1993).
 
 
WEINRICH, H., Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim etc.: Dudenverlag, 1993 (=Weinrich 1993).
 
 
ZIFONUM, G. et al., Grammatik der deutschen Sprache. Berlin/New York: de Gruyter, 1997 (=Zifonum 1997).
 


ANDREU CASTELL VICENTE
Departament de Filologia Anglo-Germànica • Àrea d'Alemany
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